„Handle so, mein Lucilius:
Befreie Dich für Dich selbst und sammle und bewahre die Zeit,
die Dir
bisher entweder geraubt oder heimlich entwendet wurde
oder entschlüpfte.
Überzeuge Dich, dass es so ist, wie ich schreibe:
Manche Augenblicke werden uns entrissen, manche entzogen,
manche verrinnen.
Der beschämendste Verlust jedoch ist der,
der durch Nachlässigkeit verursacht wird.
Und wenn Du aufmerken willst:
Ein großer Teil des Lebens entgleitet den Menschen,
wenn sie Schlechtes tun,
der größte, wenn sie nichts tun,
das ganze Leben, wenn sie Nebensächliches tun.
Wen kannst Du mir nennen,
der irgendeinen Wert der Zeit beimisst, der den Tag würdigt,
der sich bewusst wird, dass er täglich stirbt.
Darin nämlich täuschen wir uns,
dass wir den Tod vor uns sehen:
Ein großer Teil davon ist bereits vorüber;
jeden Lebensabschnitt der hinter uns liegt,
hat der Tod in seiner Gewalt.
Handle daher, mein Lucilius, so, wie Du schreibst,
halte alle Stunden fest; so wird es geschehen,
dass Du weniger vom morgigen Tag abhängig bist,
wenn Du den heutigen in die Hand nimmst.
Während das Leben aufgeschoben wird,
eilt es vorbei.
Alles, Lucilius, gehört den anderen, nur die Zeit ist unser …“
Seneca